Der romanische Dom
Bau I
Seit der Zerstörung der Abteikirche Cluny III ist der Speyerer Dom die größte erhaltene romanische Kirche des Abendlandes. In vielen Zügen folgt der Dom der Bautradition am Oberrhein, manche Bereiche seiner Architektur wurden tonangebend im Abendland.
Von dem frühromanischen Bau I, der unter Konrad II. begonnen und unter Heinrich III. weitergeführt wurde, haben sich die kreuzförmige Gesamtanlage mit Langhaus zwischen den zwei Querbauten mit Turmgruppen erhalten.
Wie bei den meisten mittelalterlichen Kirchen wurde mit dem Bau im Osten begonnen, um die liturgisch wichtigsten Bauteile wie den Chor mit dem Hauptaltar möglichst früh nutzen zu können. Zu seiner Entstehungszeit gab es noch keine Baupläne. Am Bau lassen sich viele Planwechsel nachweisen.
Außen
1027 begann man im Osten mit der Krypta, den Chorwinkeltürmen und der Verlängerung der Krypta unter dem Querhaus. Es entsteht eine kreuzförmige Anlage mit quadratischen Querarmen und einer Vierung. Die Osttürme werden in den Winkel von Querhaus und Altarraum gestellt und bilden mit dem Vierungsturm eine Dreiturmanlage. Wie diese Türme ursprünglich nach oben abgeschlossen waren, lässt sich nicht mehr feststellen.
Die Gliederung der Außenwände an den Seitenschiffen mit flachen Lisenen und Bogenfriesen ist typisch für die Frühromanik. Bei Bau I sind die großen Rundbogenfenster noch ohne Rahmung, ohne Tiefenwirkung in die Außenhaut eingefügt. Die flächige, weitestgehend unstrukturierte Außenwand widerspricht dem imposanten Wandreflief der hoch aufragenden Kolossalgliederung aus Pfeilerarkaden mit Wandvorlagen im Inneren.
Innen
Das Mittelschiff war (zunächst kürzer geplant, wahrscheinlich ohne Westbau) mit einer hölzernen Flachdecke abgeschlossen, während der Westbau, die Seitenschiffe, der Altarraum und die Krypta eingewölbt waren. Das in der Krypta ausschließlich verwendete einfache „strenge“ Würfelkapitell herrscht auch im Innenraum vor.
Heute betritt man den Dom von Westen her durch den Hübschen Westbau mit einem riesigen doppelseitigen Stufenportal mit sechs reich geschmückten gestuften Bögen außen und ebenfalls sechs gestuften einfachen steinsichtigen Bögen innen, das die ungeheure Mauerdicke des Westbaus demonstriert.
In dieser Mauerstärke sind auch die Wendeltreppen der Westtürme eingelassen, die einen kleineren Durchmesser als die Osttürme haben. Ob der erste Westbau bereits Turmaufbauten besaß, wissen wir nicht.
Der frühromanische Dom war eine „reine“, kraftvolle Architektur mit riesigen Flächen aus kleinteiligem Mauerwerk, ohne dekorative oder figürliche Zutaten. Bedeutend ist das hier im Innenraum entwickelte einzigartige Wandgliederungssystem aus Pfeilervorlagen, Halbsäulen und Blendbögen, das von der Krypta aus über die Seitenschiffe bis ins Mittelschiff fortläuft.
Informationen zum Dombau mit Übersetzungen in Französisch, Englisch und Italienisch finden Sie hier:
Bau II
Kurz nach 1080 beginnen die Baunachrichten zum hochromanischen Bau II unter Heinrich IV. Ob hierfür eine mangelhafte Ausführung einiger Bauteile, das neue Repräsentationsbedürfnis oder einfach „frommer Ehrgeiz“ des Bauherrn ausschlaggebend war, können wir nicht sagen. Vieles bleibt erhalten, manches wird ergänzt, einiges wird erneuert. Die Gesamtanlage in ihren Ausmaßen bleibt erhalten.
Außen
Die Krypta wird außen mit Quaderwerk ummantelt und eine halbrunde Apsis mit Blendarkaden errichtet, die am Dachansatz mit einer Zwerggalerie endet.
Zum ersten Mal treffen wir hier in Speyer auf eine Zwerggalerie, die den ganzen Bau umläuft und diesem zu den ganzen vertikal aufstrebenden Elementen ein horizontales, zusammenfassendes Gegengewicht verleiht, das die Mauermassen durchbricht und dem Bau auch außen Tiefenwirkung verleiht.
Ein je nach Mauerstärke unterschiedlich tiefer Mauerrücksprung unterhalb des Dachansatzes bildet die bauliche Voraussetzung für die Anlage der in ganzer Höhe nach außen offenen Zwerggalerie. Zwischen einer äußeren Reihe monolithischer, direkt auf dem Boden stehender Säulen und der Rückwand entsteht ein begehbarer Laufgang als bedeutendes Merkmal der sog. ‚echten‘ Zwerggalerie. Die Höhe der Zwerggalerie beträgt am Langhaus 2,80 m, die Breite des Laufgangs 0,70 m. Jeweils sieben Bögen sind zu einer Säulenarkade zusammengefasst. Die Säulenarkaden wiederum sind jeweils durch einen Quaderpfeiler getrennt, wobei der Fries aus Sichelbögen gleichmäßig über die Pfeiler hinweg läuft.
Auch wenn sich die Herkunft des Motivs der Zwerggalerie kaum mehr klären lässt, so sind doch die insbesondere von oberitalienischen Kirchen bekannten Vorformen, nämlich auf Apsiden, Vierungstürme oder Zentralbauten beschränkte Nischengliederungen ohne den Charakter eines begehbaren Laufgangs, nicht demselben Typus zuzurechnen, den wir hier verwirklicht sehen.
Die Obergeschosse der Türme mit den Klangarkaden sind in der II. Bauphase entstanden, wie auch die Querhausfronten.
Bei den Querhausfronten wird die Wand zwischen dem Sockelgeschoss und der Zwerggalerie nun durch mächtige Mauerbänder gegliedert, zwischen denen Rundbogenfenster mit unterschiedlichen Rahmenprofilen und Verzierungen sowie kleinere Fenstergruppen die Füllwand auflockern. Im Vergleich zur Apsis mit ihrer noch flächenhaften Blendarkatur wird die Wand jetzt plastisch durchstrukturiert.
Einzelne Teile wie die Fenster bekommen gestufte und mit Tier- und Pflanzenornamenten geschmückte Rahmenprofile. Über der Zwerggalerie tauchen bei den Querhauswänden, wie auch an der Ostseite des Altarhauses, Giebel mit gestuften Mauernischen auf, die an den Schenkeln mit einem steigenden Blendbogenfries gerahmt werden.
Am Südquerhaus befinden sich die schönsten Fenster des Domes!
Der Westbau blieb in seinen unteren Teilen erhalten. Oben wurde er ebenfalls mit einer Zwerggalerie abgeschlossen. Der Achteckturm und die Obergeschosse der beiden Westtürme wurden ergänzt oder erneuert.
Innen
Anstelle des einfachen, schmucklosen Würfelkapitells werden nun reiche Bauornamente aus der Antike aufgegriffen wie das Korinthische Kapitell, Perl- und Eierstäbe und das Akanthusblatt. Inwiefern durch diese Ornamentik bewusst an spätrömische Kaiserbauten angeknüpft werden sollte, ist bisher nicht bewiesen.
Diese korinthisierenden Kapitelle treten im Mittelschiff bei den Dreiviertelsäulen auf, die die Gurtbögen des neuen Kreuzgradewölbes des Mittelschiffs tragen. Vor der Einwölbung des breiten Mittelschiffs wurde jede zweite Pfeilerarkade mit einer Wandvorlage und einer Dreiviertelsäule verstärkt.
Mit diesem sogenannten gebundenen System (Ein Joch im Mittelschiff entspricht zwei Jochen im Seitenschiff.) war es den Baumeistern unter Heinrich IV. gelungen die für damalige Verhältnisse enorme Distanz von 14 Metern im Mittelschiff zu überwölben. Eine genuine Erfindung im Zuge der Bauarbeiten an Bau II.
Auch im Innern sind die Querhausfronten innovativ. Die Gruppen kleiner Fensteröffnungen über dem Sockelgeschoss entpuppen sich im Innenbereich als Fenster zweier Wandkapellen, die das Füllmauerwerk nach innen öffnen. An die östliche Wandkapelle schließt ein vor die Ostwand gestellter Stein-Baldachin, eine Säulenädikula für einen Nebenaltar an.
Überwölbt werden die beiden Querhäuser von Bandrippengewölben (im Gegensatz zu den Kreuzgradgewölben von Seiten- und Mittelschiff) mit breiten, noch rundbogig geschwungenen Bandrippen, die in der Mitte „unsicher“ ohne Schlussstein aufeinandertreffen. Es sind Vorläufer der später profilierten Rippen der spitzbogig geformten Kreuzrippengewölbe der Gotik.
Es ist nicht klar, ob der wahrscheinlich erst später in die Planung von Bau I aufgenommene Vierungsturm auch ausgeführt wurde. Der heute sichtbare achteckige auf Pendentifs ruhende Turm gehört zu Speyer II. Diese Muldennischen, die Pendentifs, leiten von dem viereckigen Grundriss der Vierung zum achteckigen Vierungsturm über, der mit einem achtseitigen Klostergewölbe überwölbt ist. Die über den Pendentifs in dem Turmgeschoss sichtbaren Kreisfenster und Muldennischen wurden erst bei der großen Restaurierung wieder hergestellt.
Um das Mittelschiff einwölben zu können wird die wie in den Seitenschiffen strukturierte, zweischalige Wand aus Pfeilerarkaden, Halbsäulen und Scheidbögen nun an jedem zweiten Pfeiler verstärkt.
Durch die Einwölbung des Mittelschiffs vollendet Heinrich IV. nur folgerichtig das, was unter seinem Großvater Konrad II. mit der Einwölbung der Seitenschiffe bereits begonnen wurde.
Die strukturierte Wand einer Pfeilerbasilika macht nun eingewölbte Räume möglich. Gleichzeitig wird der Innenraum durch das hoheitsvolle von der Antike übernommene Arkadenmotiv durchgliedert.
Nur bei der Apsis und bei der Afrakapelle (als letztes Bauteil von Bau II) wird das herrschaftliche Arkadenmotiv aus Säule und Bogen auch am Außenbau angewendet. (Zum Verständnis der Arkade als herrschaftliches Würdemotiv siehe: Codex Aureus, Heinrich III und Gemahlin vor Maria und dem Dom zu Speyer)
Mit der Einwölbung von Mittelschiff, Querhausarmen und Vierungsturm ist ein neuer Höhepunkt in der Architektur erreicht, der erst später bei den gotischen Kathedralen übertroffen werden wird.
Anbauten:
Doppelkapelle
Die Doppelkapelle im Süden wirkt heute von außen wie eine neoromanische Zutat. Ursprünglich war sie von Kreuzgang und Stiftsgebäuden umgeben und hat erst nach deren Abbruch eigene Außenwände erhalten. Die Unterkapelle St. Emmeram und St. Martin wird heute als Taufkapelle genutzt. Die vier Kapitelle der Mittelsäulen gehören zu Bau II.
Die Oberkapelle St. Katharina wurde 1857 wieder aufgebaut. Auch hier gehören die Kapitelle der Mittelsäulen zum Vorgängerbau. Heute wird sie als Reliquien- und Beichtkapelle genutzt.
Ein Stück des Ordensgewandes der heiligen Edith Stein, die von 1923 bis 1931 in Speyer als Lehrerin wirkte, ist in der Katharinenkapelle zu sehen. Die Gewandreliquie wird in einem sternförmigen Reliquiar aufbewahrt, das neben der Gedenktafel für die 1943 in Auschwitz ermordete Jüdin und Ordensfrau angebracht ist.
Gestaltet wurde das Reliquiar von dem Künstlerehepaar Michael und Fides Amberg aus Würzburg, das auch den Reliquienschrein für den seliggesprochenen Pfälzer Priester und Ordensgründer Paul Josef Nardini geschaffen hat.
Die Gestaltung des Reliquiars erinnert an den Lebensweg Edith Steins. Der Stern verweist auf ihre jüdische Herkunft, das aus Kristallsteinen, Perlen und Goldbouillons gestickte Kreuz im Innern auf ihre Hinwendung zum Christentum und ihre Kreuzesnachfolge bis zum Martyrium im KZ Auschwitz.
Seine Mitte bildet das Gewandstück, das mit dem aufgesetzten Lamm-Gottes-Medaillon und den von ihm ausgehenden Lebensströmen das himmlische Jerusalem symbolisiert, das Ziel aller irdischen Pilgerschaft. Zwölf weitere kleine Stoffstücke in der Umrahmung versinnbildlichen die Tore des himmlischen Jerusalems. Sie stammen von dem Brautkleid, das Edith Stein nach ihrem Eintritt in das Karmelitinnenkloster Köln bei ihrer Einkleidung am 15. April 1934 trug.
Der Reliquienschrein für Paul Josef Nardini wurde auch von dem Würzburger Gold- und Silberschmied Michael Amberg geschaffen und von Bischof Schlembach gestiftet.
Das wertvolle Behältnis aus patiniertem und teilweise vergoldetem Kupfer ermöglicht durch eine Panzerglasscheibe auf der Vorderseite den Blick auf die Reliquie, einen Oberschenkelknochen des Seligen. Die künstlerische Gestaltung soll verdeutlichen, dass der verstorbene Priester und Ordensgründer im Himmel, in der Herrlichkeit Gottes lebt. So ruht die Reliquie auf himmelblauer Seide, eingerahmt von Drahtblumen und Blütensternen aus Korallen, Perlen, Aquamarinen, Opalen, Lapis und Goldkugeln, die den Paradiesgarten symbolisieren.
Auf einem Pergamentstreifen ist zu lesen: "Seliger Paul Josef, bitt für uns an Gottes Thron!"
Auch die äußere Gestaltung des Reliquiars bringt zum Ausdruck, dass dieser Mensch ins ewige Leben eingegangen ist: Je zwei Amethystkugeln und ein Bergkristall, die aus der Mitte der vier Seiten ragen und ein Kreuz bilden, verweisen auf die zwölf Grundsteine des himmlischen Jerusalems, wie es im letzten Buch der Bibel, der Offenbarung des Johannes, geschildert wird.
Die Rückseite zeigt das Lamm in einer Sonne, das in der Offenbarung Christus symbolisiert, der die himmlische Stadt erleuchtet. Von ihm gehen zwölf Feuerflammen aus und aus seiner Herzenswunde fließen Ströme lebendigen Wassers.
Die Oberseite des Schreins zeigt in zwei Medaillons die Wappen von Papst Benedikt XVI. und Bischof Schlembach, auf den Seitenwänden sind ebenfalls in Medaillons der Speyerer Dom und die Klosterkirche von Mallersdorf dargestellt.
Afrakapelle
Die Afrakapelle im Norden, die letzte Baumaßnahme am Dom, bildete mit dem Kleinen Paradies, einer reich gegliederten Vorhalle, eine Baugruppe vor dem nordöstlichen Seitenportal. Afrakapelle und Kleines Paradies waren außen durch profilierte Blendbögen zusammengefasst. Das „Kleine Paradies“, das sich nicht erhalten hat, diente als Vorhalle vor dem nordöstlichen Portal des Seitenschiffs durch das der Bischof, von seinem Palais kommend den Dom betrat.
Seit einigen Jahren hat die Afrakapelle auch außen wieder das ursprüngliche Bodenniveau.
Heute bildet die Kapelle einen langestreckten Raum mit vier Jochen, wobei nur die ersten beiden zur ursprünglichen Kapelle gehörten. Durch Abbruch der Trennmauer wurde die Kapelle um zwei Joche des ehemaligen Paradieses verlängert.
Bei der großen Restaurierung wurden neue, der romanischen Form entsprechende Gewölbe eingezogen und der Fußboden auf Originalniveau gesenkt. Interessant sind die frei von der Wand stehenden Säulen mit Kapitellen, die die späteste Baustufe des zweiten Dombaues zeigen. Besonders bekannt sind in diesem Kontext die sogenannten Affenkapitelle an der Westwand.
1064 wurden in Augsburg in einem Steinsarg die Gebeine der frühchristlichen Märtyrerin Afra aufgefunden. 1076 erhielt Heinrich IV. eine Reliquie der Heiligen Afra (Das erste Glied der großen Zehe.). Ihr zur Ehre wurde diese Kapelle errichtet.
Der Sohn Heinrichs IV., Heinrich V., wurde am Gedächtnistag der Heiligen Afra geboren, also am 07. August. Der Tag der Heiligen Afra wurde auch zum Sterbetag von Heinrich IV. Als Heinrich IV. 1106 im Kirchenbann starb, fand er in der damals noch ungeweihten Kapelle seine vorläufige Ruhestätte. Fünf Jahre barg die Kapelle den Sarg Heinrichs IV.
Heute dient die Afrakapelle als Sakramentskapelle.Altar und Tabernakel wurden von dem Kölner Bildhauer Professor Elmar Hillebrand geschaffen, die über dem Tabernakel befindliche Kreuzigungsgruppe ist von dem Bildhauer Professor J. Adlhart aus Hallein, Österreich.
Bei der Restaurierung um 1950 entdeckte man beim Abtragen des alten Tischaltars eine Holzkiste in der sich unter anderem ein Pergament-Fragment befand, was sich als letztes Blatt der berühmten Ulfilas-Bibel (ungefähr aus dem Jahr 500) befand. Die Bibel selbst wird in Schweden aufbewahrt.
Nicht erhalten hat sich das den Innenraum füllende mystische Licht durch die verlorengegangenen Glasmalereien der Fenster, die originale Farbfassung der Wände und die Innenausstattung des Domes.
Das vierpaßförmige Taufbecken im Ostarm der Krypta könnte dem frühromanischen Dom angehört haben wie auch die beiden steinernen Löwen, die heute den Eingang zur Kaisergruft zieren. Wir wissen von einem goldenen Altarantependium, das Kaiser Alexios I. Kommenos von Byzanz 1083 Heinrich IV. für den Dom schenkte und von einem Triumphkreuz, das Kaiser Otto III. dem Dom stiftete. Im Königchor muss man sich steinerne Schranken vorstellen, einen abgegrenzten Bereich für das Kapitel.